Nikolauskirchen

Nikolaus – mit den Kaufleuten unterwegs auf den Fernstraßen Europas
Die Nikolauskirche in den Städten der Hanse und in Mitteldeutschland

Wer die die Städte entlang der Ostsee besucht, wird mit großer Regelmäßigkeit auf mittelalterliche Nikolauskirchen stoßen. Gleicherweise finden sich in Skandinavien, in Nord- und Mitteldeutschland Kirchen und Kapellen, die dem Heiligen geweiht sind. Diese Kirchen sind Zeitzeugen der Entstehung von Städten. Die Entwicklung der mittelalterlichen Stadt ist mit den Siedlungen verbunden, in deren Zentrum die Kaufleute eine dem Heiligen aus Myra geweihte Kirche er­bauten. Professor Karlheinz Blaschke hat durch Analyse von Stadtplänen das Entstehen und die Entwicklung der mittelalterlichen Stadt unter dem Aspekt der Nikolausverehrung nachgezeichnet

Siedlungen mit einer Nikolauskirche als Kern der Stadtentwicklung
Welche Bedeutung hatte die Nikolausverehrung für die Entwicklung des Hochmittelalters, das nicht nur durch die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion Stadtbewohner ernähren konnte. Bis weit ins 11. Jahrhundert gab es praktisch keine Stadtkultur. Um 1100 gewinnt die Stadtgründung an Dynamik, jeweils ausgehend von einer Siedlung um eine Nikolauskirche. Ohne die Gründung von Städten wäre auch heute Europa nicht das, was es geworden ist. Die treibende Kraft war der Fernhandel. Jeweils an Kreuzpunkten und bei Flussübergängen entstanden Kaufmannsiedlungen. Dass sich viele Nikolauskirchen in Gebieten jenseits der Elbe finden, hängt mit der Besiedlung dieser Regionen im beginnenden Hochmittelalter zusammen. Des­­halb ist Nikolaus nicht nur Patron der Hanse, sondern über deren Bereich hinaus finden sich ihm geweihte Kirchen an den Fernhandelsstraßen von Nürnberg nach Stettin. Von Paris nach Krakau, entlang der Donau und an Landungsplätzen der Schiffe an Flüssen sind die mittelalterlichen Städte wie auf einer Schnur aufgereiht und haben jeweils einen Nikolaus-Kirche oder Kapelle.

Die Kaufleute, nicht die Burgherren gründeten die Städte
Die Entwicklung der mittelalterlichen Stadt ist nicht so zu verstehen, dass ein Burgherr unterhalb der Burg eine Ansiedlung mit der Stadtmauer befestigte. Vielmehr entstanden zuerst an Flussübergängen, wie z.B. Halle oder an Haltepunkten Siedlungen von Kaufleuten. Sie wählten jeweils den Hl. Nikolaus zum Patron. Das war nicht nur eine Frömmigkeitsübung, sondern die Kaufleute unterstellten sich nicht dem Burgherren, sondern dem Patronat des Heiligen. Dass  diese Kaufmannsiedlungen fast immer Nikolaus als Patron hatten, brachte auch eine gleiche  Verfasstheit der genossenschaftlich organisierten Siedlungen zum Ausdruck.

Ein Kirchenpatron steht für eine gleiche Rechtsgrundlage und eine gleiche Stadtregierung
Die Kaufleute waren an einer größeren Freizügigkeit interessiert und zugleich an einer Rechts-sicherheit, die sie möglichst an all ihren Haltepunkten vorfinden mussten. Es war ein natürliches Interesse, an den ganzen Handelswegen etwa gleiche Rechtsverhältnisse vorzufinden. Erst die Entwicklung der Stadt zu einer durch eine Mauer befriedeten Siedlung führte dazu, sich dem Schutz eines Burgherrn zu unterstellen. Weiter brauchten die Kaufleute Sicherheit auf ihren Handelswegen. Von daher ist verständlich, dass die mittelalterliche Stadt eine gleichartige Rechtsauffassung und Regierungsform entwickelten. 

Die Verfassung der mittelalterlichen Stadt entspringt dem Interesse des Fernhandels
Obwohl sich die Bezeichnung „Bürger“ von einer Burg herleitet, ist die mittelalterliche Stadt nicht durch einen einzelnen Herrscher regiert, sondern von einem Rat, der aus seiner Mitte den Schultheiß wählte. Das leitet sich von der genossenschaftlichen Struktur der Kaufmannsiedlung her, die sich zuerst einmal selbst regierte und ihre Regierungsform in die sich entwickelnde städtische Siedlung einbrachte.
Die mittelalterliche Stadt ist, obwohl ihre Bewohner Bürger heißen, nicht von einer Burg gegründet worden, sondern von den Kaufleuten. Diese brachten Wohlstand und ermöglichten, dass auch Handwerker ihr Auskommen fanden. Um diesen Wohnbereich zu schützen, wurden dann erst Stadtmauern errichtet. Teilweise blieben die Kaufmannssiedlungen an den Flussübergängen außerhalb der Stadtmauern erhalten und wurden nicht in die Stadt integriert, so in Görlitz. Es gab aber genauso die Entwicklung, dass die Kaufmannssiedlung in die Stadt eingebunden wurde, so z.B. Rostock, Stralsund, Stendal, Frankfurt/Main, Dresden. Blaschke listet 85 mittelalterliche Städte bis nach Riga, Lublin, Krakau, Prag, Preßburg, Zagreb entlang den Fernstraßen auf, über die sie verbunden waren. Insgesamt gibt es etwa 4.000 mittelalterliche Städte. Nicht überall sind die Kirchen und Kapellen erhalten, jedoch sind die Straßennamen z.B. Nikolaus- oder Klaus-straße heute noch auf dem Stadtatlas zu finden.

Der Hl. Nikolaus als Identifikation für das Europa des Mittelalters
Fernhandel tendiert auf Abbau von Grenzen. Die Fernhändler des Mittelalters fanden in Nikolaus die Person, die mit ihrem Werteprofil für eine übergreifende Wirtschaftsordnung stand, die auf festen Rechtsgrundsätzen ruhte. Schutz der Straßen und eine genossenschaftliche Regierungsform waren schon damals das Fundament für Europa. Der zwischen dem Mittealter und dem 20. Jahrhundert wütende Nationalismus hat Europa getrennt und viele seiner Söhne in den Tod geschickt. Wenn sich Europa heute wieder an diesem Heiligen orientiert, würde es an eine groß- artige Tradition anknüpfen. Die grandiosen Kirchbauten, vor allem in den Städten an der Ostsee zeigen die Kraft dieser Idee. Die Nikolausinitiative  plädiert nicht ohne Grund dafür, diesen Heiligen, der auch den Westen mit dem Osten verbindet, zum Patron Europas zu erheben.

Der Heilige der Wende
Für Mitteldeutschland legt sich eine Wiederentdeckung dieses Werte-Trägers nicht zuletzt deshalb nahe, weil die friedliche Neuorientierung der ehemaligen DDR von der Nikolaikirche in Leipzig ihren Ausgang nahm.

 

Karlheinz Blaschke, Stadtplanforschung, Neue Methoden und Erkenntnisse zur Entstehung des hochmittelalterlichen Städtewesens in Mittel-, Ost- und Nordeuropa, Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Band 134, Heft 4  Leipzig 2003 ISBN3-7776-1268-5

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